Die Brennerbande, Teil 53


Die Feldstraßler standen wie versteinert inmitten der Menschenmenge, bis Walter schließlich das Raunen seiner Nachbarn zu Ohren kam. Er begann, sich durch die Menge auf den Berti, der als Wachtmann fungierte, zu zudrängeln. Er war allerdings nicht der einzige, der den Mann befragen wollte. Deswegen lauschte er den Fragen und den Antworten, die der Berti mit lauter Stimme über die unruhige Menge brüllte. Was er verstand war, dass die Schienen zwar noch hinaus fahren würden, es aber noch keine Überlegungen gab, wie der Verkehr aufrechterhalten werden konnte. Oder vielmehr, er hatte noch nichts von seinen Kollegen gehört. Er wusste also nichts und war, wie alle Bertis nach Meinung der Feldstraßler, verdammt nutzlos, wenn es darum ging, wirklich hilfreich zu sein. Und diese Meinung behielten sie bei, selbst im Angesicht der Erfahrungen, die sie in den letzten Monaten gesammelt hatten.
Walter drängelte sich wieder zurück zu seinen Freunden und wartete mit ihnen zusammen, dass endlich die nächste Schiene eintraf. Nach einer Viertelstunde warteten sie noch immer und die Enge auf dem Schienensteig wurde immer pressender durch die Fahrgäste, die für die nächsten Schienen eintrafen. Schließlich war eine kleine Explosion kein Grund, seine Arbeit zu verlieren.
Aber auch diese Schiene traf nicht ein und langsam wurden die Feldstraßler unruhig. Malandro verabschiedete sich. Er konnte die Werkstatt leicht zu Fuß erreichen. Tiscio blieb jedoch weiter bei Walter und Skimir, um ihnen Gesellschaft zu leisten. Als jedoch auch die nächste und übernächste Schiene nicht eintrafen, ließen sich die drei von den Arbeitern, die den Steig verließen, mitziehen. Einen Moment blieben sie unentschlossen stehen. Dann schloss sich Walter dem Zug der Arbeiter in Richtung der Fabrik an, ohne noch ein weiteres Wort zur verlieren. Plötzlich fand jedoch Tiscio seine Stimme wieder und er rief ihm nach: "Heute Abend bei Unterschnitt?" Walter drehte sich noch einmal kurz um, nickte und war verschwunden.
"Kommst du auch?"
"Weiß noch nich." Skimir sah etwas verschämt zu Boden, um Tiscios Blicken auszuweichen.
"Sagst du wenigstens Malandro Bescheid?" Ein Nicken, dann drehte sich der arbeitslose Feldstraßler um und ging nach Hause. Einen Moment lang zögerte Tiscio erneut, machte sich dann aber ebenfalls auf den Weg.

Er steuerte den Tempelbezirk an, der ungewöhnlich belebt war. Ungewöhnlich für den Tag und die Zeit. Aber die Menschen drangen auf den Hügel um dem Rauch zu entgehen, um um Hilfe und Beistand zu beten oder einfach um das Feuer zu betrachten. Die Menschen schoben und drängelten, ein Feiertag, ein Sonntag.
Die Schienen hielten Xpoch zusammen, sie waren der Fluss, auf dem die Menschen wie in Stromschnellen davongetragen wurden, während die Straßen nur langsame Trampelpfade waren, die man vermied, wenn man konnte. Nun war der Strom ausgetrocknet und niemand wusste, wie es weitergehen sollte. So viel war allen, die an den Steigen gestanden hatten, bewusst. Was jenen jedoch erst langsam klar wurde, war, dass das Herz der Stadt, ja des Imperiums angegriffen worden war.

Aus der Ferne konnte man das Läuten der Brandwehren hören, die aus den äußeren Vierteln herbeieilten. Die meisten Menschen an den Schreinen und kleinen Tempeln blickten sich nach den Geräuschen um. Tiscio nutzte den Augenblick, in dem die Bewegungen der Menge inne hielten, um sich weiter in Richtung auf Vilets Schrein vorzuarbeiten. Er benötigte fast eine halbe Stunde, um sein Ziel zu erreichen. Die übliche Schlange hatte sich dort bereits gebildet, sie wirkte jedoch unruhiger als sonst. Sobald er einen Blick auf den Platz zwischen den Schreinen werfen konnte, wusste er auch, warum. Vilet hatte ihre Kiste nicht ausgeräumt und die kleine Ecke, die sonst mit Kissen und Decken ausgelegt war und aus der der Duft von Panas strömte, war verwaist. Er drängelte sich weiter, bis er am Anfang der Schlange angelangt war. Einige der Wartenden murrten, aber die meisten kannten ihn und wussten, dass er ihnen nicht ihren Platz streitig machen wollte. Ganz vorne stand, wie so oft Lipega, eine rundliche, ältere Frau, deren Kleidung zeigte, dass sie weder aus den Ingen, noch aus der Neustadt stammte. Ihr Kleid war ordentlich und sauber, wenn auch etwas abgenutzt. Sie lächelte Tiscio müde aber freundlich an. "Hallo Tiscio, wir dachten schon, es würde heute niemand kommen. Es sieht Frau Freifrieder nicht ähnlich, sich so zu verspäten. Wann wird sie wohl eintreffen?"
"Äh, tach. Ich weiß es nicht. Sie ist gleich heute Morgen losgegangen. Ich dachte, sie wäre hier." Tiscio blickte sich um. Seine Augen blieben an der Truhe hängen, deren Seite unter einer Decke im Nachbarschrein hervorkuckte. "'Schuldigung." Er wandte sich ab und ging zu dem Priester des Schreins. Allerdings konnte er auch von ihm nicht mehr erfahren. Er brauchte einen Moment, bis er sich entschieden hatte, was als nächstes zu tun war. Dann jedoch machte er sich auf dem schnellsten Weg auf zu Vilets Wohnung, wo ihm vielleicht seine Mutter mehr sagen konnte.

Der Weg nach Hause gestaltete sich jedoch schwieriger, als er gedacht hatte. denn der Tempelbezirk war nicht der einzige Bereich, in dem sich die Menschen sammelten, die sonst zur Arbeit gefahren wären. Hinzu kam, dass die Metrowacht begonnen hatte, den Bereich um das Marktzentrum abzusperren. Tiscio war gezwungen immer wieder seine Route anzupassen, so dass er schließlich außer Atem in der Zirklergasse 4 ankam. Er sprang die Treppe hinaus, machte dabei unbewusst einen Satz über die Stufe, auf der die Männer ausgerutscht waren. An der Tür klopfte er, auch wenn er hier selbst wohnte. Schließlich kam seine Mutter an die Tür und öffnet vorsichtig die Türklappe, um zu sehen, wer sie wohl um diese Tageszeit besuchen mochte.

Die Kinder aus der Feldstrasse, 03